Die Sarntaler Alpen liegen im Herzen Südtirols in „Sichtweite“ der touristisch bekannteren Domizile, wie den Dolomiten oder dem Meraner Becken mit dem bekannten Anziehungspunkt für Wanderer, dem Meraner Höhenweg, der um die Texelgruppe führt. Schnell war uns bei der Planung klar, dass wir ein weniger bekanntes Gebiet erwandern wollen, um den „Völkerwanderungen“ unterwegs weitgehend zu entgehen. Aus den Broschüren des Tourismusvereins lernen wir, woher der Name des Sarntals stammt: Jeder bodenständige Südtiroler habe demnach seinen eigenen Sarner! Mit Sarner bezeichnet man nämlich eine traditionelle Trachtenjacke aus Schafwolle.
Die klassische Hufeisentour führt in 6 – 7 Etappen gegen den Uhrzeigersinn von Sarnthein über die beiden äußeren Kämme der Sarntaler Alpen, zwischen denen das Sarntal eingeschlossen ist. Das Penser Joch (2.211 m) bildet dabei den Knotenpunkt zwischen den beiden Bergrücken, die das Tal hufeisenförmig umschließen. Die Wahl der Unterkünfte bzw. Berghütten ist mangels Alternativen weitgehend vorgegeben. Aufgrund der Höhe des Wegverlaufes, der sich fast ausschließlich oberhalb von 2.000 Metern befindet, ist die Begehung je nach Schneelage zumeist erst ab Anfang Juli bis Ende September möglich. Wir haben auf der facebook Seite der Latzfonser Kreuz Hütte noch Fotos vom 25. Juni mit einer geschlossenen Schneedecke und 30 cm Neuschnee gesehen. Zum Glück hat in den Tagen darauf Tauwetter eingesetzt und neue Schneefälle sind ausgeblieben.
GPS-Daten zur Tour sind auf der Internetseite des Sarntals kostenlos herunterzuladen (Login erforderlich!), auch wenn die gesamte Runde so gut markiert ist, dass ein GPS-Gerät nicht unbedingt notwendig ist. Die Buchung der Hütten ist unproblematisch per E-Mail möglich, lediglich beim Rittner Horn und im Alpenrosenhof am Penser Joch ist nur eine telefonische Reservierung möglich (Kontakte sind in den jeweiligen Etappen zu finden). In keiner Unterkunft wird eine Anzahlung erwartet, so dass man die Tour aufgrund der Wetterlage auch notfalls noch kurzfristig abblasen kann.
Über eine individuelle Packliste sollte man sich in jedem Fall frühzeitig Gedanken machen, da es zwischen einigen Etappen keine Einkehrmöglichkeit gibt und man letztlich im Gebirge im Ernstfall auf sich alleine gestellt ist. Wetterschutz und gute Bergschuhe sind absolute Voraussetzung. Auf der einen Seite sollte man so wenig wie möglich Gewicht die Berge hinauf schleppen, auf der anderen Seite sind gewisse Dinge auf der Tour fast obligatorisch.
Nach unseren Erfahrungen ist in jedem Fall eine gute Kondition erforderlich, da einige Abschnitte kraftraubend und lang, teilweise auch steil sind. Für Kinder sind sicherlich einige Etappen machbar, einige Abschnitte halten wir persönlich jedoch für zu gefährlich – insbesondere für gebirgsunerfahrene Kinder.
1. Tag: Riedlerhof – Rittner Horn: 1.170 Höhenmeter, 5,5 Stunden reine Gehzeit, Schwierigkeit: anstrengend
Wir haben im Herolerhof ein Lunchpaket bestellt, da wir aufgrund der bevorstehenden Etappe pünktlich um 7.00 Uhr aufbrechen wollen. Der Wanderbus startet vom großen Parkplatz in Sarnthein um 9.00 Uhr (Sonn- und Feiertags um 9.30 Uhr). Für die Fahrt über Brixen und Bozen benötigen wir knapp 1,5 Stunden, so dass wir alle Zeit der Welt haben, unsere sieben Sachen zusammen zu packen und uns zu rüsten für das Abenteuer.
Der Wanderbus entpuppt sich als ein VW Bus (Fahrpreis 2,50 € p.P.). Wir haben tatsächlich Glück – der heutige Transport zum Parkplatz Riedlerhof, der bereits auf 1.529 Meter Höhe liegt, ist der erste dieses Jahres! Mit uns fahren lediglich eine weitere junge Wanderin mit Tagesrucksack sowie ein altes Mütterchen, das sicher irgendwo in der Nähe des Riedlerhofes wohnt.
Nachdem uns der Fahrer abgesetzt hat, schultern wir unsere Rucksäcke und machen uns auf zu unserer ersten Etappe. Bergauf fühlt sich so ein Rucksack in den ersten Minuten an, als ob man schwere Steine den Berg hinauf schleppt. Jeder von uns Beiden macht sich so seine Gedanken - kaum vorstellbar, dass wir dieses Gewicht auf den insgesamt sieben, jeweils 4 – 7 stündigen Tagesetappen, bei insgesamt rund 5.000 zu bewältigenden Höhenmeter ertragen können! Bereits nach 20 Minuten erreichen wir die Tengler Alm – dort machen wir erst einmal eine Frühstückspause mit dem leckeren Jausenbrot aus unserem Lunchpaket.
Außerdem wird das Gepäck nach den Erfahrungen der ersten Schritte erst einmal „umorganisiert“. Das Gewicht meines Tele-Zooms auf meiner Canon 600D, die ich mit meinem neuen Ortlieb Tragesystem vor der Brust trage , macht mir bereits auf den ersten Metern zu schaffen, so dass ich es kurzerhand in den Rucksack „umorganisiere“ und mein kleines Standardobjektiv auf die Kamera stecke – so geht es schon deutlich besser (ansonsten stellt sich die Ortlieb Tasche bereits jetzt als ein hervorragender Kauf heraus, da es beim Wandern mit Stöcken in keiner Weise behindert!!!).
Danach geht es über einen Pfad durch den Wald sofort relativ steil bergan – der Puls wird nach oben geschraubt. An einer Weggabelung können wir uns für zwei Varianten entscheiden - wir folgen dem Hauptweg Nummer 3. Auf einem von blühenden Alpenrosen gesäumten Weg geht es in Serpentinen stetig bergan in Richtung Sarner Scharte, unserem ersten Etappenziel.
Die letzte Stunde des Aufstieges wird noch steiler und noch schweißtreibender und führt uns über ein Geröllfeld. Wie aus dem Nichts sprießen üppig bunte Blütenkissen, die in dieser öden Felslandschaft scheinbar ohne jegliches Substrat auf dem blanken Stein gedeihen und erfreuen das Auge des vorübergehenden Wanderers. Auch säumen jetzt zahlreiche Enzianblüten den Weg.
Dann ist es geschafft – schweißüberströmt stehen wir auf der Sarner Scharte, 2.381 Meter hoch, nach 850 Meter steilem Anstieg! Der Blick zurück durch die Sarner Scharte ins Tal von Sarnthein lässt annähernd erahnen, welche Höhenmeter wir in den letzten 2,5 Stunden erklommen haben!
Erstmals erspähen wir auch die eindrucksvolle Silhouette des Dolomitenkamms. Davor liegt, scheinbar in unendlicher Entfernung, unser Ziel, das Rittner Horn, das man unschwer an der markanten Wetterstation auf dem Gipfel erkennt.
Hinter der Biwak Hütte auf einer Bank machen wir bei herrlichem Sonnenschein eine ausgedehnte Mittagspause bei Pumpernickel & Mettwürsten. Durch die Wärme der Sonne sind unsere durchnässten Funktions-Shirts in Nullkommanichts wieder trocken.
Der Abstieg von der Sarner Scharte ist zunächst etwas unangenehm, da er erneut durch ein steiles Geröllfeld führt. Zum ersten Mal melden sich die Knie! Nach kurzer Zeit wird die Wegstrecke jedoch besser, nicht mehr so steil und deutlich weniger Geröll. Wir laufen durch eine malerische Landschaft, die durch zahlreiche Bachläufe, dahinplätschernde Kaskaden, gesäumt von unzähligen rot schimmernden Alpenrosenbüschen, gekennzeichnet ist. Unser Ziel, das Rittner Horn, haben wir seit dem Erreichen der Sarner Scharte stets vor Augen.
Der nächste Wegabschnitt führt uns durch saftig grüne Weiden, auf denen zahlreiche Haflinger Pferde grasen. Natürlich sind die Tiere eingezäunt, aber durch die Großzügigkeit ihres Terrains und der großartigen Kulisse der Dolomiten erscheint die Freiheit dieser stolzen und prachtvollen Tiere geradezu grenzenlos zu sein.
Von unserem Ziel trennt uns nun lediglich noch ein vermeintlich kurzer harmloser Anstieg, der sich nach dem anstrengenden Verlauf dieser Etappe jedoch als kräftezehrend erweist. Schließlich haben wir schon über 1.000 Höhenmeter in den Knochen. Endlich auf dem Gipfel des Rittner Horns angekommen fühlen wir uns wie „Helden“ und stoßen mit einem eiskalten Weizenbier auf die erfolgreiche Bewältigung der ersten Etappe der Hufeisentour an.
Anschließend beziehen wir ein 7-Bett-Zimmer - es haben sich keine weiteren Gäste angekündigt, so dass wir das Zimmer in der nächsten Nacht für uns alleine haben werden – Glück gehabt. Ein Hüttenschlafsack ist aus hygiänischen Gründen in allen Alpenhütten obligatorisch, da man hier selbstverständlich nicht täglich die Bettwäsche wechseln kann. In der Rittner-Horn Hütte gibt es eine Dusche für alle Übernachtungsgäste – und die ist zudem auch noch in einem schlimmen Zustand! Überall prangt der Schimmel an den Wänden. Die warme Dusche tut dennoch gut und alsbald ruft auch schon das Abendessen, das allen Übernachtungsgästen zum gleichen Zeitpunkt angeboten wird (in der Regel zwischen 18 und 19 Uhr). Es gibt zunächst eine Frittatensuppe, gefolgt von einem Speck-, Käseteller und als Dessert Zitronenkuchen. Zu beachten ist, dass es am Rittner-Horn kein Trinkwasser gibt. Das Wasser für die morgige Etappe müssen wir daher käuflich erwerben – für vier Liter zahlen wir stolze 13 €!
Der Ausblick vom Rittner-Horn auf den schneebedeckten Dolomitenkamm ist einfach berauschend! Bis zum Sonnenuntergang sitzen wir in einem Liegestuhl vor der Hütte und können uns an diesem Anblick kaum satt sehen!
Reservierung Rittner Horn Haus nur telefonisch unter +39 – 0472 – 356 207.
Übernachtung inkl. Halbpension 45,50 € p.P. ohne DAV-Ausweis, mit DAV Ausweis 10 € günstiger.
2. Tag: Rittner Horn – Latzfonser Kreuz, 534 Höhenmeter, 14,9 km, 4 Stunden reine Gehzeit, Schwierigkeit: moderat
Das Frühstück in der Hütte ist reichhaltig und man kann sich sogar ein Brot als Proviant für die nächste Etappe zubereiten. Ein letztes Erinnerungsfoto zum Start der zweiten Etappe ist schnell gemacht, und dann sind wir auch schon wieder unterwegs. Auf gleichem Weg wie gestern gehen wir bei strahlendem Sonnenschein zunächst ca. eine Stunde zurück bis zu der Weggabelung, die zur Sarner Scharte führt. Über einen schmalen Pfad (Nr.1) und durch saftige Wiesen steigen wir hinauf zum aussichtsreichen Rittner Billstock, wo wir eine kurze Rast einlegen.
Beim nun folgenden Abstieg muss man aufpassen, den richtigen Pfad, der rechts hinab ins Tal führt, zu finden, will man nicht über den blau-weiß markierten Weg am Bergrücken einen kleinen Umweg über Totenkirchl bzw. die Pfroderalm machen. Unten beginnt der Weg durch das Villanderer Hochmoor. Man ist hier gut beraten, feste Wanderstiefel zu tragen, da man sich ansonsten in den Sumpfwiesen ziemlich nasse Füße holt. An einigen besonders morastigen Stellen ist der Weg mit Holzbohlen ausgelegt.
Nach einer kurzen Mittagspause setzen wir unseren Weg über üppige Wiesen fort, auf denen Haflinger friedlich grasen. Alsbald kommen zwei „sehr aufgeschlossene“ Fohlen auf uns zu und lecken mit wachsender Begeisterung an meinem T-Shirt. Das Salz ist so verlockend, dass sie mich gar nicht weiter ziehen lassen wollen! Zum wiederholten Male bewundern wir das Paradies, in dem sich diese Tiere frei bewegen können.
Das letzte Teilstück ist ein idyllischer stetig ansteigender Bergpfad. Hier müssen wir unser erstes kleineres Schneefeld passieren - an dieser Stelle noch völlig harmlos. Es sollen aber im Laufe unserer Tour noch weitere folgen, die es in sich haben. Vor zwei Wochen gab es in der Nähe des Latzfonser Kreuzes noch eine geschlossene Schneedecke und die Hufeisenrunde war nicht begehbar.
Und dann kommt die markante Kapelle des Latzforner Kreuzes in Sicht. Es ist Sonntag und eine wahre Prozession von Tagesausflüglern kommt uns entgegen. Die meisten von Ihnen haben den traditionellen Gottesdienst in der Kapelle am Latzfonser Kreuz, die jeden Sonntag um 11 Uhr stattfindet, besucht. Das Latzfonser Kreuz ist die höchst gelegene Wallfahrtskirche Europas (2.305 Meter). Gerade recht zur Kaffeezeit erreichen wir unser heutiges Etappenziel und genießen erst einmal eine große Hollunderschorle sowie anschließend Capuccino und ein großes Stück Käse-Sahne Torte! Zunächst herrscht an der Hütte noch Hochbetrieb, nach und nach lichten sich jedoch die Reihen und es verbleiben ausschließlich die Übernachtungsgäste – Ruhe kehrt ein am Latzfonser Kreuz. Erst jetzt wird die Magie, die von diesem Ort ausgeht, spürbar – der Ausblick ins Tal von Latzfons ist atemberaubend.
Wir beziehen unser Nachtlager – leider haben wir nur noch Plätze im Gemeinschaftslager bekommen. Die Latzfonser Kreuz Hütte verfügt über 15 Betten in Zimmern und 32 Lagerplätze. Mal sehen, was die Nacht so bringt! Duschen sucht man in der Latzfonser Hütte vergeblich. Es gibt lediglich einen für Frauen und Männer gemeinsamen Waschraum. Das ist sicher nicht jedermanns Sache, aber wenn man abends das außergewöhnliche Flair oben auf der Hütte erlebt, sind alle kleineren Unannehmlichkeiten bezüglich des Komforts vergessen.
Das Abendessen, zubereitet vom Hüttenchef Hansjörg, einem ehemaligen Radprofi und Extrem-Bergsteiger, höchstpersönlich, ist hervorragend. Es gibt Gemüsesuppe mit frischen Kräutern von der Alm, als Hauptgang Kasknödel mit geschmolzener Butter und Parmesan bzw. Rindsgulasch mit Knödel. Das Dessert, ein leckeres Parfait, ist gar derartig kunstvoll arrangiert, das es einen Vergleich mit einem Feinschmeckerrestaurant nicht scheuen müsste - ein unerwarteter Luxus in einfachem Hüttenambiente.
Bevor wir uns in unser Nachtlager zurückziehen, lassen wir uns noch von der Sonnenuntergangsstimmung über der in Abendrot getauchten Hohen Gaisl begeistern.
Erenut ziehen wir uns früh gegen 21 Uhr zurück - ab 22 Uhr herrscht auf den Hütten sowieso Nachtruhe. Die Nacht im Bettenlager ist mäßig. Es ist gleichzeitig meine Premiere mit Ohrstöpseln. Ich kann nicht verstehen, dass man sich diese Dinger jede Nacht freiwillig in die Ohren stopft (wie Corinna!). Glücklicherweise hält sich das Geschnarche im Saal in Grenzen, viel schlimmer ist die durch den Hüttenschlafsack bedingte Enge, wodurch man gewohnte Schlafpositionen nicht einnehmen kann. Irgendwie fühlt man sich eingepackt wie eine Mumie!
Reservierung Latzfonser Kreuz Hütte per E-Mail, Übernachtung im Lager inkl. Halbpension 36,-- € p.P.
3. Tag: Latzfonser Kreuz – Flaggerscharten Hütte,
778 Höhenmeter, 12,5 km, 4:20 Stunden reine Gehzeit, Schwierigkeit: anstrengend
Frühstück gibt es um 7.30 Uhr. So großartig das Abendessen in der Latzfonser Hütte ausfiel, umso spartanischer ist das Frühstück. Je ein abgezähltes Brot und Brötchen, je zwei Scheiben Salami und Käse, dazu Müsli - Punkt. Schon kurze Zeit später werden die Wasserflaschen gefüllt (Trinkwasser ist hier und in allen folgenden Hütten zum Glück erhältlich!), der Rucksack geschultert und dann sind wir auch schon wieder unterwegs. Ein letzter Blick zurück zur Idylle des Latzfonser Kreuzes.
Der Weg führt zunächst entlang eines Bergrücken durch ein Lava–Geröllfeld ohne nennenswerte Steigung. Allmählich verlieren wir den Dolomitenkamm außer Sicht. Erstmals sichten wir tatsächlich ein Hinweisschild mit der Aufschrift "Hufeisentour". Entgegen aller Angaben auf den Websites des Sarntals sowie in den Broschüren und Karten über die Hufeisenrunde sind diese Schilder fast nirgendwo zu finden. An der Fortschellscharte (2.299 m) steigen wir hinab zur Kofeljocher Alm und legen uns auf einer malerischen Wiese erst einmal in die Sonne. Alsbald erhalten wir wieder „tierischen Besuch“! Vier junge Kühe beäugen uns aus nächster Nähe neugierig. Wenige Augenblicke später stoßen Haflinger Fohlen dazu und weichen uns nicht von der Seite. Bis hierher ist der Weg sehr einfach – das wird sich aber alsbald ändern!
Der zweite Teil der Etappe ist anstrengend und phasenweise unangenehm zu laufen. Steile Anstiege wechseln sich ab mit langen Geröllfeldern und erfordern höchste Aufmerksamkeit. Wir erwarten nach einem letzten steilen und schweißtreibenden Anstieg zum Tellerjoch (2.520 m) bereits die Flaggerschartenhütte zu sichten – jedoch weit gefehlt! Weit und breit ist von der Hütte nichts zu sehen. Noch einmal geht es über teils rutschiges Terrain mit Felsblöcken bergab und uns fällt spontan zu diesem Wegabschnitt Konrad Beikirchers Ausspruch ein: „Dat ziieht sisch ...!“ Ein letzter steiler Aufstieg durch ein Schneefeld hebt nicht gerade die Stimmung. Aber dann ist es geschafft: 1:10 Stunden nachdem wir das Tellerjoch überquert haben, erreichen wir müde aber glücklich die Flaggerschartenhütte (2.487 Meter). Nach der gestrigen „Genusswanderung“ war die heutige Etappe richtig anstrengend.
Die Wandergruppe, die wir bereits in der Latzfonser Kreuz Hütte getroffen haben, ist schon oben an der Hütte beim Kaffeetrinken. Der „Haupträdelsführer“ der Gruppe – wir haben ihn gestern „den Reiseleiter“ getauft – überrascht uns mit dem Angebot, ein Doppelzimmer von ihnen zu übernehmen. Wir stimmen schon zu – doch so einfach geht das dann doch wieder nicht! Zunächst muss innerhalb der Gruppe eine Diskussionsrunde in Gang gesetzt werden, wie man denn die Zimmer aufteilen solle. Fast jeder Teilnehmer, der zu der Auseinandersetzung hinzustößt, hat eine komplett neue Idee zur Aufteilung oder einfach nur Einwände gegen bisherige Lösungen und entfacht damit neue erregte Wortgefechte. Die meisten Wortbeiträge beschäftigen sich mit dem Thema Schnarchen und wie man der nächtlichen Ruhestörung in welcher Konstellation auch immer möglichst entgehen könne. Wir hören uns die befremdliche Diskussion nahezu unbeteiligt an und warten auf das Endergebnis. Wenn die Gruppe in absehbarer Zeit zu keiner Einigung kommt, beziehen wir unser Bettenlager und fertig. Aber als wir es schon gar nicht für möglich halten, überlässt man uns dann doch das Doppelzimmer, das sich als ein winziges Kämmerlein mit Stockbett herausstellt – dennoch erscheint es uns nach dem Lagerquartier in der vergangenen Nacht als der reinste Luxus, ein Zimmer für uns ganz alleine zu haben.
Die Flaggerschartenhütte verfügt über 40 Schlafplätze und gilt als die romantischste Hütte in ganz Südtirol, das bestätigt uns ein freundlicher Mitarbeiter der Bergwacht, mit dem wir in der gemütlichen Stube eine Weile zusammen plaudern. Auch hier gibt es keine Dusche und nicht einmal fließend warmes Wasser. Das heiße Wasser kommt aus einer Art Thermoskanne und wird in einem Waschtrog mit dem eiskalten Bergwasser aus der Leitung vermengt. Mit einem Waschlappen seifen wir uns einmal von oben bis unten ab und verzichten unter diesen Umständen auf die Haarwäsche. Es ist schon eine Art „Katzenwäsche“, aber für heute muss es einfach reichen!
Gegen Abend zieht ein lang anhaltender Regenschauer mit Gewitter über die Flaggerschartenhütte – uns soll es nicht stören, sitzen wir doch in der gemütlichen Stube. Das Besondere an der Hütte ist, dass weit und breit keine Straße oder Fahrweg in der Nähe ist. Das heißt, alle Lebensmittel und Getränke müssen über Hubschrauber eingeflogen werden, was sehr teuer ist, oder aber in einem mehrstündigen Fußmarsch hochgetragen werden. Wir erfahren, dass der Wirt Manfred aus dem Tal regelmäßig enorme Lasten zur Hütte befördert, auch schon einmal ein ganzes Bierfass mit einem Gewicht von 35 Kilogramm! Wir geloben an dieser Stelle, uns nie wieder über unseren 12 – 13 Kilo schweren Rucksack zu beschweren! Das Abendessen ist auch hier sehr lecker: Es gibt Gemüsesuppe, Rindergulasch mit Polenta und schließlich Palatschinken mit hausgemachter Marmelade.
Reservierung per E-Mail, Übernachtung im Lager inkl. Halbpension 44,-- €, im Zimmer 50,-- € p.P.
4. Tag Flaggerschartenhütte – Penser Joch
594 Höhenmeter, 12,9 km, 4:10 Stunden reine Gehzeit, Schwierigkeit: moderat
Es hat die ganze Nacht geregnet, heute Morgen ist es jedoch glücklicherweise wieder trocken. Heute ist Corinnas Geburtstag! Ich bereite zu Corinnas besonderem Ehrentag – es ist schließlich ein runder Geburtstag – einen kleinen Geburtstagstisch direkt am Kaminofen mit Kerzen und einem Alpenrosensträußchen vor. Es warten auch zwei Geschenke auf sie, die ich den ganzen Berg hinauf geschleppt habe (es gehört zum Geschenk dazu, dass ich die Geschenke auch weiterhin in meinem Rucksack befördere!). Auch zwei Geburtstagsgrüße aus der Ferne, einer von Corinnas Eltern, der andere von ihrer lieben Omi, sind auf dem Tisch bereitgelegt. Corinna ist zu Tränen gerührt, ob dieser Überraschung, mit der sie nicht im Entferntesten gerechnet hat.
Das Geburtstagsfrühstück besteht aus in der Hütte selbst gebackenem Brot, hausgemachter Aprikosenmarmelade sowie Honig – einfach aber gut! Wir holen uns noch die neuesten Mut machenden Wetterprognosen vom Hüttenwirt für die nächsten Tage ein: Ab Übermorgen soll eine Warmwetterfront mit Temperaturen von über 30° Grad in den Tälern nach Südtirol einziehen, morgen Mittag könnte es hingegen zu lokalen Gewittern kommen. Wir zahlen unsere Hüttenrechnung und die Wirtin macht Corinna ein Geburtstagsgeschenk, in dem sie lediglich den reduzierten Übernachtungspreis für Alpenvereinsmitglieder berechnet, wirklich sehr nett!
Kurz danach brechen wir auf. Gleich zu Beginn der Tour ist eine steil abfallende Rinne, die durch ein Seil gesichert ist, zu überwinden. Trittsicherheit ist gefragt, aber letztlich ist diese Passage doch relativ harmlos. Alsbald steigen wir an zur Hörtlaner Scharte (2.603 m). Über ein steil abfallendes Schneefeld arbeiten wir uns in alten Fußspuren bergab. Teilweise sinken wir bis zur Hüfte in den Schnee ein. Da muss man 50 Jahre alt werden, um erstmals an seinem Geburtstag durch Schnee zu stapfen! Der Weg macht zwar Spaß, aber man muss dennoch aufpassen, will man eine unfreiwillige und möglicherweise schmerzhafte Rutschpartie auf dem Hosenboden ins Tal vermeiden.
Wir gelangen zu einer Hochebene, die wir über den Astener Höhenweg passieren. Überall rauschen kleine Bächlein kaskadenförmig talwärts.
Eine erste Rast machen wir am idyllischen Distelsee, wiederum kritisch beäugt von einigen Kühen, die friedlich auf den Wiesen grasen. Kurze Zeit später vernimmt Corinna eine Bewegung oberhalb eines Felsens – es ist ein Murmeltier, das uns seinerseits längst entdeckt hat. Das ist eine eher seltene Begegnung, denn die erstaunlich großen Tiere sind nicht so häufig auszumachen. Wir hatten schon vor einer Weile aus größerer Entfernung ein Exemplar gesichtet – dieses hier ist nun aber ziemlich nah dran. Endlich kommt mein Tele-Zoom zum Einsatz. Das Murmeltier wartet brav, bis ich das Objektiv aus meinem Rucksack gekramt und gewechselt habe. Ich versuche mich hinter einem Felsen näher an das possierliche Tierchen heranzuschleichen. Wie ein Model richtet es sich auf und stellt sich in Positur. Mir gelingt es, bis auf wenige Schritte an das Tier heranzukommen – welch ein Glück! Danach hat es offenbar die Nase voll vom „Foto-Shooting“ und verschwindet hinter Felsen.
Der malerische Weg setzt sich zunächst über die Hochebene fort und führt alsbald zu einem mit Alpenrosen dicht bewachsenen Berghang, den wir über einen schmalen Pfad queren. Wir finden ein idyllisches Plätzchen an Wasserfällen für unsere Mittagsrast in der Nähe der Seeberger Alm.
Über einen grasbewachsenen Hang geht es nun steil bergan Richtung Niedereck. Vorbei an zahlreichen grasenden Haflingern steigen wir hinauf bis zum Gipfel. Nun folgt einer der landschaftlich eindrucksvollsten Abschnitte der gesamten Hufeisenrunde: Zwischen Niedereck und Astenberg folgen wir einem Kammweg mit beidseitig atemberaubenden Ausblick in tief eingeschnittene Täler. Die Steilhänge leuchten knallrot von üppigen Alpenrosenbüschen. Trotz des tollen Ausblicks, sollte man gut auf jeden Schritt achten, denn ein Fehltritt in die eine oder andere Richtung könnte hier fatale Folgen haben.
Schließlich kommt der Alpenrosenhof in Sicht. Erstmals auf der Tour müssen wir unsere Regenbekleidung auspacken, da aus dem zunächst feinen Nieselregen dickere Tropfen werden. Nach 10 Minuten ist der „Spuk“ allerdings schon wieder vorbei und wir begeben uns auf einen unspektakulären Abstieg zur Penser Joch Alm, wo wir uns mangels Alternativen zu einer zünftigen „Geburtstags-Brettljause“ mit Speck, hausgemachten Ziegenkäse, Rettich und Brot bei einem Gläschen Bier überreden lassen – wir waren zwar auf Kaffee und Kuchen eingestellt, das Alternativprogramm ist aber auch nicht schlecht! Der selbst gebraute Schnaps geht dann aufs Haus!
Drinnen kloppen einige Einheimische lautstark fluchend Karten, so dass wir kaum unser eigenes Wort verstehen – ein tägliches harmloses Ritual, wie uns der Almwirt versichert! Um zum Penser Joch (2.227 m) zu gelangen, müssen wir anschließend noch 15 Minuten über die Passstraße laufen.
Im Alpenrosenhof haben wir ein Doppelzimmer mit Dusche/WC auf dem Flur – nach den Übernachtungen der letzten Tage der pure Luxus -, obwohl die Zimmer überaus einfach eingerichtet sind! Vor allem müssen wir in dieser Nacht nicht in dem beengten Hüttenschlafsack liegen und können endlich wieder einmal unsere Beine ausstrecken.
Das Abendessen kann a´ la Carte ausgewählt werden. Das Ambiente in der Gaststube ist nach den romantischen Hütten der letzten drei Tage nüchtern – es herrscht eher ein „Neonlicht-Charme“ vor! Nichtsdestotrotz stoßen wir mit einem Gläschen Prosecco nochmals auf Corinnas Geburtstag an. Wir bestellen eine Bouillon mit Ei (3,-- €) und dreierlei Knödel (Spinat-, Kas- und Specknocken) mit Butter und Parmesan (8,50 €) und sind von der guten Qualität der Speisen positiv überrascht. Dazu gibt es einen recht guten Sylvaner aus dem benachbarten Eisacktal sowie zum Schluss einen Heidelbeerschnaps bzw. einen Williams aufs Haus!
Bei der Wandergruppe, die wir seit einigen Tagen immer wieder treffen, entstehen am Nachbartisch heiße Diskussionen, ob man angesichts der Wetterprognosen den Weg über das Grölljoch am nächsten Tag wagen kann. Wie nicht anders zu erwarten, führen die Gespräche am Ende zu keinem klaren Ergebnis. Der Alpenrosenwirt befeuert die Diskussion noch mit beiläufigen Einwürfen wie „oh je, das Weißhorn trägt heute Abend eine Kappe (Wolken) – das ist kein gutes Zeichen...!“ Auch wenn die „Kappe“ nach fünf Minuten wieder verschwunden ist, sorgt die knappe Information dennoch am Nachbartisch für neuen Zündstoff, und die Gemüter erhitzen sich erneut aufgrund dieser neuen Erkenntnis. Wir bleiben gelassen und lassen uns nicht verrückt machen, unsere Diskussion über den morgigen Tag dauert ganze zwei Minuten – ein Grund dafür, warum wir bevorzugt zu Zweit wandern. Unser simpler wie sinnvoller Plan ist, früh aufzustehen, die Wetterlage zu checken und dann eine endgültige Entscheidung zu treffen.
Reservierung Alpenrosenhof per E-Mail, Übernachtung im Doppelzimmer mit Frühstück 30,-- € p.P., EC- und Kreditkartenzahlung möglich.
5. Tag: Penser Joch - Weißenbach
459 Höhenmeter Anstieg, 15,2 km, 4:10 Stunden reine Gehzeit (+ 30 Minuten Waldweg), Schwierigkeit: Grölljoch anstrengend, bei Schneefeldern teilweise gefährlich (unbedingt bei den Wirten über den Zustand der Route vorher erkundigen!), Rest der Etappe leicht.
Wie geplant stehen wir um 6.30 Uhr auf und nehmen beim reichhaltigen Frühstück – wir können uns sogar ein paar Brote für unterwegs zubereiten - die neuesten Wettermeldungen entgegen. Kurz gesagt: Es gibt keine neuen Erkenntnisse. Gegen Mittag kann es zu lokalen Gewittern kommen. Diese sind im Gebirge nicht zu unterschätzen, da ein heftiges Gewitter hier innerhalb kürzester Zeit aufziehen kann. Während am Nachbartisch die kontroversen Diskussionen von gestern Abend ihre Fortsetzung finden, machen wir uns um 7:30 Uhr auf den Weg. Wir werden begleitet von Sonne und Wolken. Die Sicht auf unser erstes Etappenziel, das Grölljoch, das sich zwischen den beiden Gipfeln des Weißhorns (auch genannt das „Matterhorn Südtirols“!) und der Gröller Spitze befindet, ist gut. Über einen schönen Bergpfad geht es zunächst gemütlich bergauf.
Nach ca. einer Stunde geht der Pfad nahtlos über in ein „fieses“ Geröllfeld. Immer wieder müssen breite Schneefelder durchquert werden. Wenn man hier abrutscht, kann es in dem steilen Hang unangenehm werden. Wir versuchen die vorhandenen Fußspuren zu nutzen und treiben immer wieder die Hacken unserer Bergschuhe in die harte Schneedecke, um festen Halt zu bekommen. Die rot-weißen Wegmarkierungen sind teilweise von Schnee bedeckt, so dass wir uns mehrfach neu orientieren müssen. Vorsichtig kämpfen wir uns Schritt für Schritt voran. Obwohl das Joch mittlerweile wolkenverhangen ist, ist der Aufstieg eine schweißtreibende Angelegenheit. Nach insgesamt zwei Stunden erreichen wir schließlich wohlbehalten das Joch. Die Wolken haben sich inzwischen verzogen, sodass wir hier oben in einer geschlossenen Schneedecke bei strahlendem Sonnenschein stehen! Von der Wandergruppe haben sich zwei Frauen entschieden, ebenso den Weg über das Grölljoch zu wagen, der Rest der Gruppe ist „panisch“ zum Penser Joch umgekehrt, nachdem irgendwo in der Ferne ein einmaliges Grummeln vernommen werden konnte.
Auch wir wollen uns selbstverständlich nicht dem Risiko eines Gewitters hier oben aussetzen, verweilen daher oben nicht lange und verzichten auch auf den sicher äußerst lohnenden Abstecher für den schwindelfreien, trittsicheren Wanderer zum Weißhorn (mit Seilsicherung - Auf- und Abstieg ungefähr eine Stunde). Es folgt der wohl gefährlichste Wegabschnitt der gesamten Hufeisentour. Durch eine Scharte geht es sehr steil abwärts. Vor uns liegt ein Schneefeld, das aufgrund seiner Lage (Nordhang) auch Mitte Juli noch vereist ist. Dieses müssen wir überqueren! Nach drei bis vier Schritten wird uns schnell klar, dass die Passage an dieser Stelle viel zu gefährlich wäre. Vorsichtig taste ich mich rückwärts gehend wieder in Richtung „sicheres“ Geröll. Wir entscheiden uns, zunächst diesseits des Schneefeldes uns nach unten zu arbeiten. Nach einer ziemlichen Kraxelei durch lockeres Geröll – das Absteigen im rutschigen und steil abfallenden Terrain ist alles andere als ein Sonntagnachmittagsspaziergang – gelangen wir zu der von oben ausgemachten Stelle im Schneefeld weiter unten. Und tatsächlich haben offenbar schon andere Wanderer vor uns diesen Weg gewählt, denn die Fußspuren im Eis sind tief und stabil. Ohne Probleme gelangen wir hinüber zur anderen Seite und suchen erst einmal die rot-weißen Markeirungen. Das Schlimmste liegt jetzt hinter uns. Durch ein weniger steiles Gelände gelangen wir zu einer Ebene. Von hier geht es gemütlich aber langanhaltend insgesamt über 1.000 Höhenmeter bergab – ein Fest für die Knie!
Die Oberbergalm liegt saftig grün und lieblich da, ein Fotomotiv jagt das Nächste. Allgegenwärtig sind das markante Weißhorn, bunte Blumenwiesen und der romantisch dahin plätschernde Oberbergbach. An einem Steg kühlen wir unsere geplagten Füße in dem eiskalten Bächlein. In dieser berauschenden Kulisse vertrödeln wir bei herrlichstem Wetter die Zeit – von Gewitter nach wie vor keine Spur! Eine Herde Haflinger kreuzt direkt vor unserer Nase den Bach, um sich auf der anderen Seite neue Weidegründe zu erschließen. Es ist die Idylle pur!
Schließlich machen wir uns auf den schier endlosen Abstieg über einen breiten Fahrweg bis nach Weißenbach. Es gibt eine weitaus attraktivere Variante über den sogenannten Wandersteig, der vom Fahrweg aus beschildert ist und nur geringfügig mehr Zeit in Anspruch nimmt. Wir haben das Glück, dass von oben ein alter Fiat Panda herunterkommt und anbietet, uns mit nach Weißenbach zu nehmen. Das Angebot nehmen wir dankend an, da es uns wenig reizvoll erscheint, auf einer asphaltierten Straße weitere 30 Minuten abwärts zu laufen. Also quälen wir uns samt unserer Rucksäcke in das winzige Vehikel! Der Fahrer des Pandas stellt sich heraus als der Besitzer eines wunderschönen Holzhauses oben auf der Oberbergalm, das wir bereits im Vorübergehen neidvoll bewundert haben.
Die nächste Nacht verbringen wir im Murrerhof in Weißenbach – ein schier unglaublich luxuriöses Quartier im Vergleich zu den bisherigen Unterkünften! Unser Zimmer hat ein eigenes Bad mit einer Badewanne, in der wir unseren müden Knochen wieder Leben einhauchen! Das Gewitter lässt übrigens auch am Nachmittag auf sich warten. Hier und da grummelt es mal kurz in der Ferne, ansonsten genießen wir einen wunderschönen, sonnigen Nachmittag auf unserem Balkon. Erst gegen Abend geht ein kurzer Nieselregen im Tal herunter – das war´s mit dem ganzen heutigen Unwetter!
Wir halten einen kurzen Plausch mit unseren ungefähr gleichaltrigen Zimmernachbarn, mit denen wir einen Balkon teilen. Die Beiden stellen sich als Motorradfahrer aus dem Schwabenländle heraus und geben uns Einblick in eine völlig fremde Welt. Sie berichten darüber, dass sie heute 250 Kilometer mit ihren Motorrädern durch die Berge gedüst sind – für uns ebenso unvorstellbar wie für die Beiden, stundenlang Berge zu erklimmen. Gut, dass die Interessen der Menschen, wie sie ihre Freizeit verbringen, so unterschiedlich sind - sonst wären entweder die Berge von Wanderern überfüllt oder aber die Bergstraßen mit Motorradfahrern.
Zum Abendessen werden uns frische Pfifferling (die ersten Selbstgesuchten dieses Jahres) mit Bandnudeln sowie köstliches thuniertes Kalbfleisch, im Prinzip ein warmes Vitello Tonato, und als krönender Abschluss ein hausgemachtes Amarettini Parfait serviert! Dazu gibt es einen einfachen „Verlab“, ein Cuvee aus Vernatsch, Lagrein und Blauburgunder.
6. Tag: Weißenbach (1.335 m) – Meraner Hütte (1.980 m)
720 Höhenmeter Anstieg, 10,2 km, 3:00 Stunden reine Gehzeit, Schwierigkeit: leicht
Das Frühstück im Murrer Hof ist reichhaltig und gut. Die Wirtin hat für uns um 8.30 Uhr ein Taxi bestellt, das uns nach Aberstückl, dem Ausgangspunkt der heutigen Etappe, bringen wird. Diese Variante wählen die meisten Wanderer der Hufeisentour, um sich den langweiligen Aufstieg auf der asphaltierten Straße bis zum Wanderparkplatz oberhalb von Aberstückl zu ersparen. Der öffentliche Bus fährt im Übrigen ausschließlich zu ungünstigen Zeiten, um 7:00 Uhr und um 9:45 Uhr.
Am Parkplatz zahlen wir den Fahrpreis von 20,-- €. Unterwegs überholen wir die uns bekannte Wandergruppe mit dem Taxi und winken ihr fröhlich zu - ... wir ernten dafür erstaunte bis neidvolle Blicke. Wir unken noch, „ ... da hat der Reiseleiter wieder versagt und wird jetzt sicher entlassen...“, doch die Gruppe folgt unserem Beispiel, hält das Taxi auf der Rückfahrt an und lässt sich ebenfalls bis zum Parkplatz bringen. Wir werden den Mitgliedern der Gruppe im Laufe des heutigen Tages noch das ein oder andere Mal begegnen.
Der erste Teil unserer heutigen Etappe führt uns entlang des Sagenweges durch das Sagbachtal. An liebevoll gestalteten Stationen werden Sagen aus dem Sarntal erzählt. Hier eine Kostprobe, die Sage von den Nörggelen im Sarntal:
Die Nörggelen im Sarntal
Nörggelen sind Männchen, die so groß sind wie dreijährige Kinder. Sie tragen graue Mäntelchen und sind barfuß. In alten Zeiten mussten die Leute auf der Hut sein, denn die Nörggelen wollten ständig Schaden anrichten.
Vor Zeiten hauste im Heisshof ein solches. Im Keller schlief es bei Tag, in der Nacht hörte man es über die Stiege schleichen. Den Mägden und Knechten schlug es in der Nacht auf die Waden und zwickte sie. Wenn sie sich aufregten, so lachte es, sonst war es mucksmäuschen still. Leider konnten sie das Nörggele nicht vertreiben. Im Herbst wurde es immer schlimmer. Da kehrte ein Sammelpater ein, der immer beim Heisshof zu Mittag aß. Die Leute erzählten ihm ihr Leiden. Der Pater wusste Rat: Er gab ihnen etwas und trug den Leuten auf, es auf die Stiege zu legen. So geschah es auch. In der Nacht hörte man ein Poltern, als ob jemand über die Stiege gefallen wäre. Seit diesen Tagen war das Nörggele nie mehr zu spüren.
Auch beim Felder in Aberstückl trieb eines ständig Unfug. Es warf die Melkschemel um, so dass die Mägde im Mist lagen. Die Nörggelen warfen „Geiß Gagelen“ in die Suppe und lachten. Am Schlimmsten war es auf der Alm. Bei der Heuernte machten die Nörggelen kleine Bällchen aus Heu und warfen sie den Mägden ins Gesicht. Sie nahmen das Mus von den Löffeln und schleuderten es den Hirten ebenfalls ins Gesicht. Die Nörggelen verjagten auch Tiere und trieben sie in die felsigen Gebiete. Wenn man jedoch den Namen des Leittieres rief, so kam die ganze Herde unbeschadet zurück.
Auch beim Hofer Schafberg weiter hinten im Tal gab es eine Begegnung mit Nörggelen. Das Gebiet ist sehr steil. Deswegen kann dort nur Kleinvieh weiden. In der Nacht trieben die Nörggelen die Rinder in dieses steile Gelände. Die Bauern wussten sich keinen Rat und liefen sofort zum Penser Pfarrer. Der sagte: „Lasst das Vieh nur und rührt es beileibe nicht an!“ In der Nacht hörten sie das Vieh herab lärmen. Es wurde von den Nörggelen herunter getrieben und kam ohne Schaden wieder zurück.
Fragt man heute die Penser nach den Nörggelen, so heißt es: „Die Pater haben sie verbannt, aber im nächsten Jubeljahr werden sie wieder frei!“ Wann das sein wird, weiß niemand so genau.
Während wir uns noch die Stationen des Sagenweges in Ruhe anschauen, werden wir auch schon wieder von Mitgliedern der Wandergruppe überholt! Sie winken uns kurz zu, haben aber offenbar keine Zeit und erst recht kein Auge für die "Attraktionen" am Wegesrand. Wir können uns nicht helfen, aber irgendwie wirkt die Gruppe immer etwas gehetzt!
Über die Durralm gelangen wir über einen Schotter Fahrweg zur idyllisch gelegenen Kaserwiesalm. Hier entscheiden wir uns zu einer Variante, den Weg 14 A zum Kratzberger See – eine gute Entscheidung, wie sich herausstellen wird. Dieser Weg ist sehr viel schöner und aussichtsreicher als der direkte Weg zum Missensteiner Joch, führt er doch bei stetigem Blick auf das imposante Weißhorn und das Sarntal durch einen schönen mit blühenden Alpenrosen dicht bewachsenen Hang.
Oben am See rasten zahlreiche Wanderer - wir treffen hier auf den Europäischen Fernwanderweg E 5, der vom Bodensee an die Adria führt. Jetzt befinden wir uns im Gebiet von Meran 2.000. Hier führen Seilbahnen aus dem Tal nach oben, was eine Flut von Tagesspaziergängern mit sich bringt, zumeist schon am Schuhwerk und der mangelhaften Ausrüstung zu erkennen. Wir verbringen eine lange Mittagspause bei schönstem Wetter an dem toll gelegenen See. Einige Mutige wagen sogar ein Bad in dem eiskalten Gebirgswasser. Dieses sagenhafte Panorama ist uns dann doch einen Zeitraffer-Film wert! Klickt das Bild an und schaut selbst!!!
In einer halben Stunde führt ein Höhenweg von hier zum Missensteiner Joch. Hier oben kann man einmal nachvollziehen, was der Skitourismus mit der Umwelt anstellt. Wenn man das so sieht, muss man sein eigenes Freizeitverhalten – wir sind ja ebenfalls passionierte Skifahrer – sicher einmal überdenken! Von der Beschaulichkeit der ersten Etappen unserer Tour ist hier oben nicht mehr viel zu spüren. Es herrscht ganz schön viel Rummel. So hatten wir uns in etwa den Meraner Höhenweg vorgestellt und uns deswegen für die beschaulichere Hufeisentour entschieden. Ruhe kehrt erst am späten Nachmittag ein, wenn die Tagesgäste zurück ins Tal müssen. Dann verbleiben hier oben nur noch die Wanderer, die sich in der Meraner Hütte eingemietet haben und das Gebimmel der Kuhglocken auf den Almen wird wieder bestimmend.
Der Abstieg zur Meranerhütte, unserer letzten Hüttenunterkunft der Tour, dauert eine weitere halbe Stunde. Auf der schönen Terrasse stärken wir uns erst einmal mit einer leckeren Gemüse- bzw. Nudelsuppe. Danach nehmen wir ein Sonnenbad auf den komfortablen hauseigenen Liegen.
Am Abend erkundigt sich Corinna telefonisch im Sarntheiner Tourismusverband nach den Nörggelen des Sagenweges. Nur allzu gerne würden wir einen dieser putzigen Figuren zu Hause in unseren Garten stellen! Die freundliche Mitarbeiterin verspricht sich zu erkundigen und bittet uns, am nächsten Morgen noch einmal anzurufen. Eigentlich ein gutes Zeichen, das für die Verschlafenheit des Sarntales spricht. In anderen touristischen Gegenden würden die Figuren an jeder Straßenecke vermarktet werden.
Wir beziehen unser komfortables und auffallend gepflegtes Doppelzimmer. Duschen kann man mit Hilfe einer Duschmarke – die sanitären Anlagen sind ebenfalls tipptopp gepflegt! In der Meraner Hütte gibt es insgesamt 40 Schlafplätze, alle in Doppelzimmern.
Zum Abendessen gibt es Hirtenmakkaroni, Fleischpflanzerl mit Kartoffepüree sowie zum Dessert eine Creme Caramel. Ebenso wie in allen Hütten zuvor sind wir von der Qualität der Speisen sehr angetan. Überaus lecker ist auch der Sauvignon Blanc aus der Cantina Terlano.
Am Abend sitzen wir noch auf unserem Balkon und betrachten abermals das Schauspiel des Sonnenuntergangs hinter den Bergen. In anderen Hotels würde man für einen solchen Ausblick einen Haufen Geld extra bezahlen!
7. Tag: Meraner Hütte (1.980 m) – Sarnthein (961 m)
338 Höhenmeter Anstieg, 1.100 Höhenmeter Abstieg, 15,4 km, 3:30 Stunden reine Gehzeit, Schwierigkeit: leicht
Die heutige Etappe ist eine echte „Wellness-Wanderung“, vielleicht wenn man von dem letzten langen und nicht enden wollenden Abstieg durch den Wald absieht, der ein bisschen auf die Knie geht.
Frühstück gibt es in der Meraner Hütte vom Buffet – selbst gemachte delikate Marmeladen, Wurst, Käse und Frischkäse sind in Hülle und Fülle aufgetischt. Abmarsch ist um 8:00 Uhr. Über den E 5 geht es zunächst in einem genüsslichen Spaziergang zum aussichtsreichen Kreuzjöchl. Eine Blumen übersäte Wiese gibt einen tollen Kontrast zu der dahinter aufragenden Texelgruppe – ein tolles Fotomotiv!
Wir folgen dem E 5 für eine weitere Stunde bis zu den Stoananen Mandln. Dieser Ort strahlt eine gewisse Magie aus. Auf einer Anhöhe mit Rundumblick steht eine Ansammlung teilweise kunstvoll aufgetürmter Steinmännchen. Ein Teil von ihnen wird bereits in Aufzeichnungen aus dem 15. und 16. Jahrhundert erwähnt. Hier sollen Hexentänze und Teufelsfeiern zelebriert worden sein – Schauergeschichten, die sich ums Gewittermachen oder gar das Verspeisen von Kindern ranken, gehen mit diesem Ort einher. In einer Gerichtsschrift aus dem Jahre 1540 ist nachzulesen, dass sich die angebliche Hexe Barbara Pacher dort oben mit Teufeln und Hexen getroffen haben soll!
Letztmals treffen wir – wie sollte es anders sein – einen Teil der uns mittlerweile fast liebgewonnenen, diskussionswütigen Wandergruppe, die heute ebenfalls ins Tal absteigt.
Wir entscheiden uns auch hier für eine Variante zu der üblichen Tour über den Weg Nummer 23. Zunächst geht es durch einen lichten Wald voller Latschenkiefern, später über einen breiten Fahrweg bis zum Putzer Kreuz. Hier machen wir eine letzte Mittagspause und bestellen noch einmal hausgemachte Knödel mit Salat. Es folgt der letzte endlose Abstieg nach Sarnthein. Sehnsüchtig schauen wir auf die gegenüberliegende Sarner Scharte, wo vor sieben Tagen unsere Tour begann!
In Sarnthein sind wir verabredet mit dem Hersteller der Nörggelen, Raimund Gasser, der gestern Abend noch extra für uns ein Exemplar fertiggestellt hat. Wir zahlen 35,-- € für den Nörggele und freuen uns darauf, ihn in unserem Garten zu platzieren. Wahrscheinlich wird es der einzige Nörggele in ganz Deutschland sein! Er lässt uns nicht gehen, ohne uns zuvor seine umfangreiche Nachttopfsammlung in seinem Haus zu zeigen. Es gibt schon merkwürdige Hobbies!
Eine unglaublich abwechslungs- und erlebnisreiche Wandertour geht zu Ende. Wir sind schon ein wenig traurig und hätten gerne noch ein paar weitere Tage Gipfel erklommen und Abenteuer in den Bergen erlebt. Einziger Trost ist, dass wir noch drei schöne Tage im Herolerhof in Lüsen verbringen. Dort laufen wir uns auf der Lüsner Alm ein wenig aus und lassen uns nach der anstrengenden Tour noch einmal so richtig verwöhnen. Eines ist uns aber, als wir unten an unserem Auto stehen, klar: Die nächste Hüttentour kommt bestimmt.
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